Merab Ninidze ist ein georgischer Schauspieler. Er hat unter anderem die Hauptrolle im Film „Nirgendwo in Afrika“, der im Jahr 2003 in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, gespielt. Sein Resumé erstreckt sich jedoch über noch viele weitere Produktionen und jedes Jahr werden seine Filme auf den renommierten Festivals der Welt gezeigt. Ninidze hat dabei in Projekten wie Homeland, McMafia, Tatort und Doktor Ballouz mitgespielt. Seit 01.07.2021 ist nun sein neuer Film „Der Spion – The Courier“ mit Benedict Cumberbatch in den deutschen Kinos zu sehen – ein absolutes Muss für Filmliebhaber.
Der Regisseur Dominic Cooke erzählt in seinem neuesten Werk die wahre Geschichte einer unwahrscheinlichen Freundschaft zwischen einem Geschäftsmann aus England und einem sowjetischen Oberst aus Russland. Das Ganze geschieht in einer Zeit, als die Welt am Rande eines Atomkrieges steht. Welche Facetten an der Rolle von Penkowski ihn fasziniert haben, wieso er die Rolle von Stalin abgelehnt hat, welches Buch er Benedict Cumberbatch geschenkt hat und ob er selbst mit dem Spion befreundet wäre, erzählt uns der Schauspieler im Interview.
Ich habe mir den Film angesehen und fand ihn sehr gut. Sie spielen die unterschiedlichsten Rollen in verschiedenen Ländern in mehreren Sprachen. Aber die Rolle von Stalin haben Sie abgelehnt. Was hat Sie also am Film „Der Spion – The Courier“ gereizt und wieso genau die Rolle von Oleg Penkowsi, der wichtige politische und militärische Informationen ins Ausland lieferte?
Das sind ja zwei unterschiedliche Figuren. Stalin wollte ich prinzipiell nicht spielen, weil ich auch Georgier bin. Man muss das im historischen Kontext sehen, es handelt sich um einen Punkt, dem ich nicht positiv gegenüberstehe. Das Projekt war dabei für mich nicht differenziert genug an die Personalie herangegangen, sondern es war eine Art Versuch ihn ohne Reflexion glorifizieren zu wollen.
Und Penkowski gilt als der größte Verräter in der Geschichte der Sowjetunion. Heute ist er eine Horrorfigur in der sowjetischen Geschichte. Er stellt eine gespaltene, interessante historische Figur dar und als ich zum Casting kam, kannte mich der Regisseur bereits von einer BBC-Serie und wollte mich kennenlernen. Ich sollte erst für eine kleine Rolle vorsprechen, der Regisseur sagte mir dann aber: komm morgen nochmal vorbei, ich will dich in der Rolle des Penkowski ausprobieren. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich kannte das Drehbuch und die Rolle von Penkowski sprach mich an, das fühlte sich ein bisschen wie in einem Märchen an. Ich dachte zuvor, dass die Rolle vorrangig für amerikanische Schauspieler geschrieben worden war. Das war bis dahin auch tatsächlich ein Wunsch der amerikanischen Produzenten gewesen, die Rolle mit einem großen Weltstar neben Benedict Cumberbatch zu besetzen. Aber der Regisseur hat sich durchgesetzt. Er hat auf seine Art dafür gekämpft mir die Möglichkeit zu geben für die Rolle vorzusprechen und es hat funktioniert. Das war eine kleine Bestätigung, dass auch internationale Schauspieler, die nicht akzentfrei sprechen, mehr Möglichkeiten bekommen sich im Filmgeschäft beweisen zu können.
Ich komme auch aus Georgien. Jedoch muss ich zugeben, dass ich die Geschichte von Penkowski vorher gar nicht kannte…
Ich auch nicht, ehrlich gesagt. Ich habe dann mehr recherchiert, als ich das Drehbuch bekommen habe.
Sie sind gleich in den ersten Szenen des Films zu sehen, dessen Premiere beim Sundance Filmfestival im Januar 2020 war. Sie mögen Freunde und Familie sehr und auch für Penkowski bedeutete die Familie sehr viel. Er träumte davon mit der Familie in die Vereinigten Staaten auszuwandern und er machte es auch für seine Familie. Im Film geht es um die außergewöhnliche Freundschaft zwischen zwei Menschen. Wären Sie selbst mit ihm befreundet?
Das ist eine interessante Frage. Ich habe mir sehr oft vorgestellt wie es wäre, wenn man ihm begegnet wäre. Worüber hätte man mit ihm gesprochen: über Fußball, Musik oder Filme? Ich weiß es nicht. Aber so wie er im Drehbuch geschrieben ist, hätte ich diesen Mensch interessant gefunden.
Aber wie er tatsächlich im wirklichen Leben war, ich weiß nicht, ob ich zu ihm so viel Sympathie empfunden hätte. Von dem was ich gelesen und gesehen habe, war er ein sehr komplizierter, verschlossener Mensch, der auch mit der eigenen Familie eigentlich nicht so verbunden war wie wir das im Film zeigen.
Im Film ist Penkowski leicht idealistisch gezeichnet. Er glaubt, dass er die Welt ändern kann, wie zum Beispiel Edward Snowden oder die Gründer von Wikileaks. Er war von dieser Idee besessen. Ich sehe das so: was macht man, wenn das System unerträglich wird und du denkst: „wenn ich das nicht mache, macht kein Mensch irgendetwas dagegen“? Wenn du so eine Position hast wie er, die Möglichkeit durch seine Verbindungen in politischen Kreisen aktiv zu werden und über seine hohe militärische Stellung diese Hochrisikospiele zu spielen. Er hat wirklich alle Dokumente an Amerika weiter gegeben. Mit ihm befreundet zu sein wäre wohl übertrieben, aber mich würde es schon interessieren mich mit so einem Menschen zu unterhalten, mit ihm ein Glas Wein zu trinken.
Im Film sieht man, dass Penkowski die Kunst mag. Sie mögen ja die Kunst der Filmproduktion. Wie Sie einmal in einem Interview gesagt haben, herrschte im Kommunismus das Gefühl von Gleichgültigkeit: „mir ist alles egal“. Und die Filmproduktion hatte damals eine besondere Funktion, eine Art Bildungsfunktion. Als Sie in der Schule waren, haben Sie gerne Filme im Kino angeschaut. Welche Funktion könnte die Filmproduktion in unserer Zeit für die Menschen erfüllen?
Wir brauchen alle Vorbilder, mit denen man sich identifizieren kann. Im echten Leben haben wir nicht wirklich viele davon und viele sind nicht echt, sondern entstammen der Kunst. Als Kind habe ich mir dank meiner Oma unter anderem Musicals angeschaut, die liebe ich heute noch. Das ist eine besondere Art von Film, die ein bisschen Hoffnung gibt, obwohl das Leben nicht immer perfekt ist. Ich wünsche mir, dass ein guter Film oder eine Filmfigur in den Zuschauern etwas auslöst, womit sie sich identifizieren können. Und manchmal prägen ein Film oder eine Figur eine neue Maxime, wie sie sprechen, träumen oder Entscheidungen treffen. Dann denkt man: so will ich auch sein oder so will ich handeln, so will ich im echten Leben sein. Gute, tiefgehende Filme, die uns ansprechen, bewirken etwas in uns und damit können wir einen Schritt vorwärts machen, unsere Wünsche verwirklichen oder keine Angst mehr zu haben, das zu sein, was wir sind. Dann geht das Ganze nicht spurlos an uns vorüber und kann uns als Vorbild dienen.
Sie haben das Land Anfang der Neunziger verlassen. Als Sie ihre erste Rolle bekommen haben, konnten Sie kein Deutsch sprechen. Aber Sie haben das Vertrauen bekommen, dass Sie es wert sind. Jetzt spielen Sie in einem Hollywood-Film mit Benedict Cumberbatch. Wie waren die Dreharbeiten mit ihm? Wusste er etwas über die Sowjetunion?
Er wusste anfangs nicht viel. Ich habe ihm dann mein Buch von Svetlana Alexievich geschenkt, weil er zahlreiche, politische Fragen hatte. Es ist ein historisches Buch über die Zeit der Sowjetunion, welches mich persönlich sehr beeindruckt hat. Er hat mir dann im Gegenzug ein anderes Buch zurück geschenkt. Wir haben diese Bücher täglich gelesen und viel miteinander gesprochen. Benedict ist ein offener, bodenständiger Mensch. Er ist sehr talentiert, der dir auch zuhört, dir zuschaut, gerne diese Mentalität und Power zurück gibt, was für Schauspieler so wichtig ist. Es war Teamwork. Ich würde gerne wieder mit ihm spielen (lacht).
Sie sind auch sehr talentiert. Wie die jungen Leute in Georgien sagen: „Sie sind cool“ und ich wünsche Ihnen viel Erfolg für den Film.
Vielen Dank für diese Worte! Mein erster Film wurde im Jahr 1984 gedreht. Wenn die jungen Menschen mich heute noch als cool empfinden, dann brauche ich keine andere Art der Bestätigung im Leben.
Interview: Sophia Katamadze
Bildmaterial: FilmPressKitonline